Die Glühlampe des Verderbens
Diese Geschichte ist möglicherweise eine Urbane Legende, aber selbst wenn sie es nicht ist, wird es wahrscheinlich schwierig sein, Beweise für ihre Authentizität zu finden. Weil außerdem keiner der Beteiligten getötet oder anderweitig aus dem Genpool entfernt wurde, überlasse ich dem „Darwin“-Team zu entscheiden, ob die Story behalten oder verworfen wird. Sie möge als warnendes Beispiel für ultimative menschliche Blödheit dienen, die zu einer ganzen Reihe von Unfällen geführt hat. Und das hat sich so zugetragen:
Ort der Handlung ist eine kleine Provinzhauptstadt in der Sowjetunion der 80er Jahre. Dort fand gerade eine Konferenz von Hochschullehrern statt, an der ein paar Dutzend Doktoren und Professoren teilnahmen. Ein paar von ihnen wohnten in einem kleinen Hotel am Ort, und weil das Hotel wie auch seine Bewohner recht ärmlich waren, bezogen drei Kollegen gemeinsam ein Zimmer. In einem kleinem Nest wie diesem ist abends nicht viel los, also beschaffte man sich ausreichend Wodka im örtlichen Magazin und konsumierte diesen auch.
Während der Konversation unter den neuen Freunden führte einer der graduierten Hochschullehrer (nennen wir ihn Dimitri Petrowitsch) den medizinischen Fakt auf, daß es zwar möglich wäre, eine Glühbirne in den Mund eines Menschen zu stecken, aber daß es unmöglich sei, sie dort wieder herauszuziehen (erst durchlesen, dann selbst ausprobieren!). Er trifft damit auf den absoluten Unglauben seiner beiden Zimmergenossen, die ihn auch fragen, was für eine Art Glühbirne er denn meine und wie es sein könne, daß man sie zwar hinein, aber nicht mehr herausbekomme. Dimitri Petrowitsch antwortete, daß er eine Standardglühbirne meine, wie sie das Hotelzimmer erleuchtete. Warum man sie nicht aus dem Mund herausziehen könnte, wüßte er aufgrund mangelnder anatomischer Kenntnisse allerdings nicht. Die Diskussion wurde daraufhin immer hitziger, und an einem bestimmten Punkte entschied einer der beiden anderen, daß ein Experiment notwendig sei.
Erinnert euch, daß alle drei promovierte Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen waren. Und offensichtlich war keiner der drei Mediziner. Die Glühbirne wurde also herausgedreht und der lautstärkste Mitbewohner (nennen wir ihn Wladimir) steckte sie sich in den Mund. Nach ein paar Sekunden war geklärt, daß Dimitri Petrowitsch recht hatte. Wladimir war es unmöglich, die Glühbirne wieder herauszuziehen, weil seine Kaumuskulatur durch die Fehlstellung des Kiefers überdehnte und verkrampfte und er den Mund nicht mehr aufbekam.
Nach kurzer Beratschlagung wurde entschieden, Wladimir zum Doktor zu bringen. Sie holten also ein Taxi und fuhren ins nächste Krankenhaus. Die Nachtschwester, die den Hergang des Unfalls aufnahm, verschluckte sich fast vor Lachen. Der diensthabende Arzt untersuchte Wladimir gründlich, bevor er ihm einen gezielten Schlag auf den Unterkiefer verpaßte. Wladimirs Kiefer klappte herunter und der Doktor zog die Glühbirne problemlos heraus und gab sie Dimitri Petrowitsch zurück. Anschließend erklärte er den dreien, daß Wladimirs Kiefermuskulatur jetzt ein paar Stunden lang gelähmt sein würde, weil durch den Schlag die Nerven betäubt worden wären und sich erst wieder erholen müßten.
Die drei Lehrer stiegen wieder in ihr Taxi und fuhren zurück ins Hotel. Noch während der Fahrt begann der dritte sich zu mokieren, daß man ihn hier wohl für dumm verkaufen wollte, und daß ein solches Phänomen medizinischer Quatsch wäre, und daß er das jetzt probieren müßte... Jedenfalls mußte der Fahrer wenden, um wieder zurück ins Krankenhaus zu fahren. Die Nachtschwester mußte feixen, als sie die drei wieder sah. Und als sie ihre Geschichte hörte, fiel sie vom Stuhl vor Lachen. Als sie sich wieder eingekriegt hatte, holte sie den Arzt, der kichernd dem dritten Lehrer einen Schlag auf den Kiefer gab, die Glühbirne herausholte und sie wiederum Dimitri Petrowitsch zurückgab.
Diesmal hatte das Taxi nicht gewartet, also holten die drei ein anderes. Dimitri Petrowitsch verfrachtete seine beiden stummen Begleiter mit herunter hängenden Kiefern in den Fonds, während er selbst sich auf den Beifahrersitz setzte. Der Fahrer war milde überrascht von der seltsamen Gesellschaft aus einem kichernden Besoffenen und zwei Kunden, die aussehen wie Dorftrottel. Also fragte er, was los sei. Dimitri Petrowitsch versicherte dem Fahrer, daß die beiden anderen keine Idioten wären, sondern höchst gebildete Menschen, und daß ihr Problem nur durch eine wissenschaftliche Diskussion über Glühbirnen entstanden sei. Nachdem sich der Fahrer die Geschichte angehört hatte, fragte er, was für eine Art Glühbirne Dimitri Petrowitsch denn meinte. Dieser holte die Glühbirne aus dem Hotel hervor und sagte „diese hier“. „Unmöglich“, sagte der Fahrer, um ein paar Sekunden später zu wenden und mit einer Glühbirne im Mund zurück ins Krankenhaus zu fahren.
Als die Nachtschwester die drei zum dritten Male innerhalb von zwei Stunden sah, hatte sie ernsthafte Atembeschwerden, weil sie viel stärker lachen mußte, als es von Mutter Natur vorgesehen ist. Nachdem sie die Contenance wiedererlangt hatte, holte sie den Arzt, welcher auch prompt den Taxifahrer auf den Unterkiefer schlug, dadurch seine Kaumuskulatur betäubte und die Glühbirne herausholte. Diesmal aber zerschlug er die Glühbirne auf dem Tisch, damit die Sache endlich ein Ende hatte. Die vier stiegen wieder in das Taxi und fuhren ins Hotel.
Auf dem Wege dorthin wurden sie an einer Milizstation angehalten. Der Milizionär war sehr erstaunt, daß der einzige, der sprechen konnte, ein sehr besoffener Mann auf dem Beifahrersitz war. Und dieser erzählte ihm auch noch eine sehr merkwürdige Geschichte von einer Glühbirne. „Warten sie einen Moment“, befahl er der Fuhre und verschwand in seinem Kabuff. Dimitri und seine Begleiter sahen, wie das Licht in der Hütte ausging und ein paar Sekunden später erschien der Milizionär wieder, aus dessen Mund das Gewindestück einer Glühbirne schaute. Mit Gesten bedeutete er den beiden auf der Rückbank, zusammenzurücken und stieg ein. Das Taxi fuhr wieder zum Krankenhaus.
Die Schwester kriegte vor Lachen einen hysterischen Anfall. Sie brauchte geraume Zeit, um sich wieder zu fassen und zum Dienstzimmer des Arztes gehen zu können. Sie öffnete die Tür - und fiel in Ohnmacht. In der Tür erschien der Arzt mit gelähmt herabhängendem Unterkiefer!





Intuition ist die Gabe, die Lage in sekundenschnelle falsch zu beurteilen