Interessant;
Zitat
Zankapfel Westsahara

Autor : Antje Helmerich
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 01.09.2002

Seit vielen Jahren führen die Bewohner der Westsahara einen einsamen Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Marokko. Antje Helmerich fasst zusammen.



An der nordafrikanischen Atlantikküste liegt eine der wenigen verbliebenen Kolonien auf der Welt: die Westsahara, früher Spanisch-Sahara genannt. Knapp hundert Jahre lang bestimmten die spanischen Kolonialherren die Geschicke der Saharauis, wie sich die Bewohner der Westsahara selbst nennen.


In den sechziger Jahren keimte Hoffnung auf, als sich die Vereinten Nationen der Westsahara-Frage annahmen, eine Kommission (MINURSO) einsetzten und das franquistische Spanien drängten, einer zügigen Entkolonisierung zuzustimmen. Doch trugen die dahingehenden Anstrengungen im folgenden Jahrzehnt nur wenig Früchte. Sowohl die internationalen Bemühungen als auch der vor allem von Marokko unterstütze Widerstandskampf der 1973 gegründeten Bewegung Frente POLISARIO (Volksfront für die Befreiung von Saguia el-Hamra und Río de Oro) gegen die Spanier waren kaum erfolgreich.
Leere Versprechen

1975 starb der spanische Diktator Franco und seine politischen Erben beschlossen noch im selben Jahr, die Entkolonisierung der Westsahara zu vollenden. Doch als sich die Spanier ein Jahr später zurückzogen, bedeutete das keineswegs die lang ersehnte Unabhängigkeit für die Saharauis: In den so genannten Madrider Verträgen übertrug Spanien entgegen vorheriger Versprechungen die Verwaltung des Gebietes an Marokko und Mauretanien.

Die Frente POLISARIO wies diese Abmachung entrüstet zurück und beharrte auf Unabhängigkeit. Doch die marokkanische Antwort war deutlich: 1976 annektierte der ehemals "befreundete Bruderstaat" den Großteil des Gebietes in einem blutigen Eroberungsfeldzug. Seither ist von marokkanischer Seite keine Rede mehr von Selbstbestimmung oder gar Unabhängigkeit der Westsahara.

Im selben Jahr rief die POLISARIO die "Demokratische Arabische Republik Sahara" aus, die mittlerweile von mehr als 70 Staaten anerkannt wird. Sechzehn Jahre Guerillakampf konnten erst im April 1991 durch einen Waffenstillstand zwischen Marokko und der Frente POLISARIO beendet werden. Doch auch seither ist in der Westsahara keine Ruhe eingekehrt.
Der ungeliebte UN-Plan

Der maßgeblich von der UNO diktierte Friedensplan sah vor, bereits 1992 ein Referendum abzuhalten, in dem die saharauische Bevölkerung über die Zukunft des Wüstengebietes entscheiden sollte. Allerdings hat bis heute keine Volksbefragung stattgefunden, da sich die Konfliktparteien seit nunmehr zehn Jahren nicht darauf einigen können, wer überhaupt abstimmungsberechtigt ist: Es könnten entweder die heute im Gebiet der Westsahara lebenden Menschen - unabhängig von ihrer Herkunft - stimmberechtigt sein. Die zweite mögliche Bevölkerungsgruppe könnten aber auch diejenigen Saharauis sein, die durch die Volkszählung von 1974 - der letzten unter spanischer Herrschaft - erfasst wurden. Die dritte Möglichkeit wäre, dass alle beide Gruppen abstimmen dürfen.

Seit 1992 blockiert der marokkanische Staat jeden Lösungsversuch. Und die internationale Gemeinschaft kommt ihm entgegen: im Sommer 2000 forderte der UN-Vermittler James Baker eine weitere Verschiebung des Referendums um fünf Jahre, innerhalb derer den Bewohnern der Westsahara schrittweise kulturelle Autonomierechte eingeräumt werden sollen.

Die Frente POLISARIO opponiert jedoch von Anfang an vehement gegen das pro-marokkanische Engagement der MINURSO. Sie fürchtet nach wie vor, die marokkanische Regierung werde die erneute Verzögerung nutzen, um durch massive Propaganda und die Ansiedlung von regierungstreuen Marokkanern in der Westsahara den Ausgang des Referendums in ihrem Sinne zu manipulieren. Auch Algerien und Spanien - seit der marokkanischen Annexion unter anderen die vehementesten Verfechter saharauischer Selbstbestimmung - lehnen die UN-Initiative strikt ab.
Ein Leben in Flüchtlingslagern

Für die Menschen hat sich in den letzten Jahren wenig verändert. Unter spanischer Herrschaft hoffte man auf marokkanische Hilfe, nun blickt man - wenn auch zunehmend skeptisch - auf die internationale Staatengemeinschaft.

Rund 170.000 Saharauis leben heute in den riesigen Flüchtlingslagern in der südwestalgerischen Region Tindouf, rund 50.000 weitere verstreut in Mauretanien, Mali und Marokko. Trostlosigkeit herrscht unter den Vertriebenen. Es gibt keine Arbeit in den Lagern, die meisten Saharauis sind nach wie vor auf internationale Hilfslieferungen angewiesen. Vor allem die Jungen träumen von der Ausreise nach Spanien oder das befreundete Kuba.

Und doch ist es den Aktivisten der Frente POLISARIO gelungen, eine Verwaltung, einen funktionierenden Gesundheitsdienst sowie ein Schulsystem aufzubauen. So ist der Analphabetismus in den vergangenen Jahren zurückgegangen, auch die in den siebziger Jahren noch extrem hohe Kindersterblichkeit ist gesunken.

Nun scheint es, als werde wieder über die Westsahara gesprochen, vor allem Spanien hat verstärktes Engagement für die Saharauis angekündigt. Ob der Traum von der Selbstbestimmung jedoch in naher Zukunft Realität werden kann, ist mehr als fraglich.

Text von 2003...