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Na warte, Dapo, dich kriegen wir auch noch. Du wirst Charlie... (Kalifat-Pressestelle)

Nee, im Ernst: ich bin in den letzten zwei Wochen bei drei Konzerten gewesen und ich möchte nachfolgend einfach mal meine eigene "Befindlichkeit" schildern.

Das erste Konzert ("The Pretty Things") fand in nem mittelgroßen ehemaligen Kino statt - am Mittwoch vor den Anschlägen in Paris. Ein paar hundert Besucher. Alles wie immer, insbesondere ganz oberflächliche Einlaßkontrollen, die wohl hauptsächlich verhindern sollen, daß mitgebrachte Spirituosen Eingang in den Saal finden. Nettes Konzert, die Alt-Herren-Combo (ein Band-Mitglied war schließlich Gründungsmitglied bei den Rolling Stones) mit einer auch bei jüngeren Musikern selten zu sehenden Spielfreude, die Stimmung beim Publikum (überwiegend 50+) ganz gelöst bis enthusiastisch. Keine besondere Vorkommnisse, außer daß zwei Zivilpolizisten draußen neben dem Eingang einen Drogendealer hochgenommen haben.

Am Freitag nach Paris dann "Kraftwerk" in der Essener "Lichtburg". Das ist eines der ältesten Kinos und das größte in Deutschland mit fast 1300 Sitzplätzen. Das Konzert war total ausverkauft, der Kinosaal bis auf den letzten Platz besetzt. Karten gab es schon seit Monaten nicht mehr, obwohl zusätzlich mehrere Nachfolge-Konzerte angesetzt wurden. Am Seiteneingang die beiden riesigen Trucks mit dem Band-Equipment, Security-bewacht natürlich.
Vor dem Kino-Haupteingang in der Fußgängerzone wegen der gründlichen Kontrollen eine lange Warteschlange, welche quer über die Kettwiger Straße und noch um die Ecke ging. Gleichzeitig war am Vortag der Weihmachtsmarkt eröffnet worden, so daß die zahlreichen Flaneure auf dieser traditionellen Essener Einkaufsstraße sich durch die Schlange der wartenden Kinobesucher quetschen mußten. Wir, d.h. außer mir noch Frau, Tochter und Schwiegersohn, waren rechtzeitig vorher am Kino konnten aber wegen der Erschwernisse erst 5 Minuten vor dem Konzertbegin unsere Plätze einnehmen. In Zukunft muß man als Besucher wohl bei solchen Veranstaltungen deutlich mehr Zeit einkalkulieren.
Das Konzert selbst dann erschien wie eine Computer-Animation in Endlosschleife. Audiovisuell mit aufwendigsten 3D-Laserprojektionen perfekt inszeniert und programmiert. Ich hab die Vorgänger-Combo von Kraftwerk als "Ralf-Hütter-Organisation" schon mal live gesehen. Das war im Jahr 1968 und damals war die Musik aufregend neu, wenn auch wenig eingängig. Alles sehr experimentell, wie auch das elektronische Equipment. Mit Kraftwerk wurde die Musik dann später videoclip-, dancefloor- und hitparadentauglich, und das ist sie bis heute. Real-Musik oder Playback, da könnte man in der Lichtburg im Jahr 2015 schon Zweifel haben. Ob die Show wohl automatisiert weiterlaufen würde, wenn im Saal alles Leben genauso erstarrt wäre wie die Musiker an ihren Bedienpulten, wenn alles tot wäre - diese Frage schoß mir unwillkürlich durch den Kopf.

Orts- und Zeitwechsel:
Samstag abend dann ein Heavy-Metal-Konzert mit "Nightwish", "Arch Enemy" und "Amorphis" in der Oberhausener Arena. Das ist eine große Veranstaltungshalle im "Centro", einem überregional bekannten Konsumtempel. Zwischen der integrierten Gastronomiemeile und der Konzerthalle noch der gerade eröffnete Weihmachtsmarkt. Unmengen von Leuten, welche irgendwohin drängen. Permanent kommt Nachschub aus den umliegenden Parkhäusern und der zentralen Bus- bzw Straßenbahnhaltestelle. Ein richtiges Durcheinander. Kein einziger Polizist sichtbar, Ordner auch nicht.
Beim Einlaß in die Halle ordentliche Sicherheitschecks, in der Halle "Marshalls", welche als Sicherheitspersonal an strategischen Punkten verteilt sind und die sich etwas im Hintergrund halten.
Die Halle ist nicht ganz ausverkauft aber fast voll. Geschätzt gut 10.000 Rocknusik-Fans.
Zusammen mit meiner Frau befinde ich mich auf der umlaufenden Empore, unter welcher sich der Hauptfloor mit den unteren Tribünen befindet. Allein auf "meiner" oberen Ebene gibt es 18 Treppenhauszugänge, ganz oben direkt unter dem Hallendach weitere Notausgänge. Ich ertappe mich bei einem Worst-Case-Gedanken und spiele mehrere Fluchtalternativen durch. Wohin sich wenden, wenn plötzlich ein Attentäter aus diesem oder jenem Zugang erscheinen würde? Grundsätzlich eher nach oben oder nach unten? Besser in Deckung gehen, ein Versteck suchen oder möglichst schnell flüchten? Ich entscheide mich gedanklich für die Variante Flucht nach ganz oben und nach Möglichkeit verstecken. Ob diese Entscheidung im Ernstfall wohl richtig wäre?
Das Konzert geht mit dem Hauptact weiter. Die Band "Nightwish" hat Lightshow-Equipment mit einer enormen Lichtstärke und intensiven Strobe-Effekten installieren lassen. Zusammen mit dem perfekt ausgesteuerten Sound in Heavy-Metal-typischer Lautstärke ergibt sich eine bombastische Bühnen-Show. Unterstützend werden gelegentlich krachende Pyro-Effekte gezündet, die durch Mark und Bein gehen.
Ein Security-Mitarbeiter steht etwa 8 Meter von mir entfernt an der Balkon-Brüstung. Die unvermittelten Pyro-Explosionen scheinen ihn jedesmal kalt zu erwischen, wie sein leichtes Zusammenzucken zu deuten sein mag. Jedenfalls versteht er bei seiner Arbeit keinen Spaß. Zwei junge Mädchen, welche auf der Treppe begonnen hatten, zur Musik zu tanzen werden unverzüglich und recht unwirsch auf die Plätze zurückverwiesen. Die Rettungswege sind freizuhalten. Unbedingt.

Das Konzert ist beendet. Der Weinachtsmarkt ist fast geschlossen. Nur eine Irisfotografie-Bude arbeitet noch und irgendwoher bummt laute Techno-Musik - auf dem Weihnachtsmarkt...
Wir machen, daß wir schnell wegkommen. Kurz vor Mitternacht bin ich wieder zuhause. Unversehrt.

Im Laufe der Jahre habe ich eine Menge Konzerte besucht. Ich bin in kleinen Clubs und in riesigen Hallen gewesen. War einer von nur 10 Besuchern oder steckte in der schier unüberschaubaren Menschenmenge eines Open-Airs. Bin unter Hippies, Rockern oder Rastafaris gewesen. Hab in knöcheltiefem Schlamm gefroren und bei 35 Grad geschwitzt. Zu Künstlern und Musikern aus der ganzen Welt bin ich hingegangen, habe sie mir angesehen und angehört - manchmal auch angetan.
Bei all den vielen Events ist bei mir nur aber ein einziges Mal das Gefühl einer starken Bedrohung aufgekommen - und das war ausgerechnet im Gedränge einer Loveparade in meiner Heimatstadt.

Die Situation ist jetzt grundlegend anders. Die Bedrohung ist nicht so konkret, dafür aber permanent und generell. Ich fürchte, ich werde nach dem Attentat von Paris nie mehr so unbeschwert wie früher auf eine Großveranstaltung gehen können, aber ich will weiterhin gehen.
Wo sie uns nicht direkt töten können, versuchen sie, unseren Feierabend, unser Wochenende, unsere Lebensfreude und Unbefangenheit zu töten. Unsere Freiheit und unsere Kultur, nicht nur die moderne, sondern auch die klassische, längst vergangene. Alles. Einfach alles. In Frankreich und anderswo. Die Sprengladungen an den Altertümern in Bamiyan und Palmyra waren nur Vorspiel, die Zerstörung des Louvre und der Semperoper, sowie der Kathedralen in Köln, Barcelona und Rom soll ihr Orgasmus werden.

Sie spielen gleichermaßen ein Computer-Ballerspiel und verfolgen auf dem klassischen Brettspiel "Risiko" das Ziel: erobern Sie die ganze Welt!
Deshalb ist - wie Zappa schon sagt - eine einzige Symbol-Fahne in der Tat zuwenig, auch wenn Frankreich momentan besonders betroffen erscheint.

mfG
Rainer

Gut geschrieben...

Damit wäre zumindest das Niveau vergangener Tage wieder hergestellt.

Tja Rainer,
da sagst Du was. Ich war seit den Anschlägen Paris auch auf drei unterschiedlich großen Konzerten und habe dieselben Gedanken gehabt und merke, dass wir uns nicht mehr so unbeschwert bewegen können.

Trotzdem lasse ich mir meine unbeschwerte Lebensfreude und meinen innere Frieden nicht nehmen. Von Keinem.

Ich bin mir sicher, wenn es das Motiv als Klopapier gäbe, es würde sehr gut verkauft und genutzt werden.

Na das wäre doch eine Marktlücke, aber wahrscheinlich würde der Hersteller nicht lange überleben.