Auf den Wolf gekommen
(Liebeserklärung; schon mal woanders von mir veröffentlicht, wenn es langweilt, einfach weiterblättern)

Ende der 70er Jahre erschien in der Zeitschrift "Auto Motor und Sport" ein Bericht über den neuen Geländewagen von Daimler-Benz. Auf bunten Bildern kroch ein landmaschinenrotes, vielkantiges Gefährt über Felsgestein und wühlte sich durch braunen Schlamm. Mir als hoffnungsvollem Jungingenieur-Kandidat blieb beim Lesen der Mund offen stehen - so mußte ein Geländewagen sein: konsequent und kompromißlos, Dieselmotor, Geländeuntersetzung, zuschaltbarer Allradantrieb, Differentialsperren in beiden Achsen, Schraubenfedern, knackiges Design. Nichts überflüssiges, aber alles notwendige. Die Kollegen bei Daimler-Benz und in Graz hatten eben jahrzehntelange Erfahrung mit ihren Unimogs, Haflingern, Pinzgauern und ähnlichem Getier. Sie wußten, worauf es wirklich ankommt. Man bedenke: die Bundeswehr fuhr damals im VW 181 herum - was für eine ärmliche, lächerliche Gurke Was für ein Abstieg gegenüber dem schönen Munga aus der Frühzeit der Armee, der mich bereits als Kind fasziniert hatte. Wenn ich sah, wie der Kübel seinen Hintern über der Portalachse anhob, wenn er kreischend losfuhr, wurden meine Vorurteile gegen die Institution Bundeswehr jedes Mal voll bestätigt. (damit will ich auf keinen Fall heutige Kübel-Liebhaber verletzen. Es war halt nur meine damaliges Gefühl. Heute hätte ich gerne einen Kübel als Zweitwagen).

Über die Jahre erschienen die unvermeidlichen, monströsen Derivate der G-Klasse. Protzige Kotflügelverbreiterungen, fette Benzinmotoren, Automatikgetriebe, Metalliclack und Holzimitat pervertierten den Gedanken dieses eigentlich schlanken, sehnigen Autos. Was als solides Werkzeug zäher Bergführer gedacht war, verkam zu einem süßlich duftenden Spielzeug eitler Lüstlinge, Ölscheichs und sonstiger Selbstdarsteller.
Franz-Josef Strauß, der legendäre bayerische Ministerpräsident, war da von anderem Schlag. Zur Jagd nutzte er seinen grünen G - ganz ohne Firlefanz und bereits damals ein Klassiker. Gerne fuhr er damit auch mal zu einem seiner legendären populistischen Auftritte bei den streikenden LKW-Fahrern auf den winterlichen Brennerpaß.


Innere Führung

Die Bundeswehr entschloß sich schließlich doch noch zur Beschaffung beträchtlicher Kontingente in spartanischer Ausführung. Bei der Truppe heißt das Fahrzeug nun WOLF und wird viele Jahre seinen Dienst fürs Vaterland verrichten. Streitkräfte zahlreicher anderer Staaten wählten ebenfalls den WOLF.


Mythos Wolf

Er schleicht sich in meine Gedanken, wandert ins Langzeitgedächtnis, verkriecht sich in die hinterste Ecke des Gehirns. Lange Zeit werde ich nichts von ihm merken. Aber der Wolf wird da sein. Irgendwann werde ich plötzlich wieder seine Fährte sehen, in einer kalten Winternacht weit entfernt seinem Geheul lauschen. Er wird immer da sein.


Aus dem Film "Wolfsziegel" (La Tuile a Loups, Frankreich 1972, Regie Jacques Ertaud):

Frankreich erlebt den härtesten Winter seit 1956. In dem kleinen Bergdorf La Jassaix liegt meterhoch Schnee. Ravenel, ein alter und abergläubischer Eigenbrödler, hört in der Nacht den Wolfsziegel pfeifen, was das Kommen der Wölfe ankündigt. Vom Hunger getrieben überwinden die Wölfe ihre Scheu vor den Menschen und kommen ins Dorf, um dort zu jagen. Während der Bürgermeister und die meisten Dorfbewohner dies als Aberglaube abtun, ziehen ein paar Jäger mit ihren Flinten los, doch der Schneesturm ist zu stark, das Dorf ist von der Außenwelt abgeschnitten. Erst als der erste Wolf erlegt ist, erkennt die Bevölkerung die Gefahr, doch es ist zu spät. Mit der Dunkelheit kommen die Wölfe ins Dorf, eine Nacht voller Schrecken erwartet die Bewohner, wo die Wölfe ......


Midlife Crisis ?

2010 - über 30 Jahre später - bekomme ich Lust, mal wieder an altem Blech zu schrauben. Was ist das richtige Auto dafür? Ich habe nicht viel Freizeit, keine Übung mehr. Ich will mich nicht zu sehr frustrieren bei der vergeblichen Suche nach Ersatzteilen, will nicht nur gegen den Rost ankämpfen, sondern mittelfristig erreichbare Erfolgserlebnisse haben. Ein Auto mit Charakter und stabilem Rahmen wäre gut, nicht zu alt, der Markt soll etwas Auswahl bieten und es sollte noch Teile zu kaufen geben. Ich surfe im Internet. In den Nächten liege ich wach und denke lange nach. Es ist Vollmond. Und da, sei still: aus dem Wald, von weit her, kommt ein leises, aber deutlich vernehmbares Wolfsgeheul. Er ist wieder da. Er kommt näher ans Haus. Er kratzt an der Tür. Und diesmal wird er bleiben.

Das Leiden der Kreatur

Nun schließt sich eine längere Phase der Spurensuche an. Irgendwann werde ich fündig: in einem verlotterten Industriegebiet, zwischen alten Lastwagen, Öllachen und Gerümpel ist ein räudiger, alter Wolf hinter Stacheldraht eingesperrt. Das Tier tut mir leid in seinem Elend. Ich würde es am liebsten gleich mitnehmen. Doch die Beschreibung im Internet zeigt schon: dieser Wolf ist hoffnungslos verloren. Sein Besitzer hat keine Ahnung von Tierhaltung und auch von sonst nichts. Er hat den Wolf schlecht behandelt und verdorben. Solche Beispiele von Tierquälerei sind leider nicht selten. Also Finger weg und weiter suchen.


Die Wolfshöhle

Ich möchte den Wolf unter annehmbaren Bedingungen halten und pflegen. In der Tiefgarage unserer Wohnanlage geht das nicht. Die hochsensiblen Mitbewohner würden vor Angst ausrasten, wenn plötzlich ein zotteliges, stinkendes Raubtier zwischen ihren glänzenden Hyundais und Kias auftauchen würde. Also suche ich eine größere Einzelgarage, mit Stromanschluß und etwas außerhalb der Wohngebiete, damit das Wolfsfell auch mal sanft mit der Flex gepflegt werden kann. Nicht so einfach zu finden ist so etwas in der Nähe der weiß-blauen Landeshauptstadt. Ich gebe eine Anzeige auf im Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt. Niemand meldet sich. Die Bauern haben es gar nicht mehr nötig, ihre Stadln an so einen Spinner wie mich zu vermieten. Da bauen sie lieber schicke Ferienwohnungen hinein. Und ihre Ruah' wollen sie auch haben. Doch manchmal hat man Glück: Nach langer Suche vermietet mir die tierliebe Frau S. aus P. eine großzügige, helle LKW-Garage. Hier wird sich mein Wolf wohlfühlen.


Die Jagd

Ich begebe mich wieder auf die Pirsch und verlege mein Jagdgebiet ins fränkische Land. Hier scheint die Wolfspopulation etwas dichter zu sein als in Oberbayern. Einige Händler bieten sogar Lebendfänge an. Mal sehen, ob mir hier das Jagdglück hold ist….


Waidmannsheil

Und tatsächlich, an einem windigen Herbsttag läuft er mir im hellen Mittagslicht in die Falle. Der Händler M. aus N. hält sich eine ganze Menagerie von Wölfen, Unimogs, Ivecos und zahlreichen sonstigen militärischen Groß- und Kleintieren auf seiner luxuriösen Ranch in Südlage im romantischen Hügelland bei Weißenburg. In seinem glitzernden Freiluft-Showroom, dessen Atmosphäre gesättigt ist mit dem Duft reifer Oliven, werde ich fündig. Während ich den Wolf inspiziere, kommuniziert M. lässig englisch parlierend mit seinen wohlhabenden Geschäftspartnern aus Jagd und afrikanischen Gesellschaftskreisen. Die Probefahrt führt durch eine parkähnliche Landschaft, die in ihrer Schönheit einem gepflegten Golfplatz gleichkommt. Echte Landluft, frisch produziert von biologisch gehaltenen Öko-Rindern, dringt unters Planengestell. Ein tarnfleckiger Wolf wechselt den Besitzer.

Reserve hat Ruh

Mein Wolf wurde am 22. Mai 1991 zur Bundeswehr eingezogen, hieß Y-244495 und wurde am 7. Oktober 2008 von Stabsfeldwebel Z. ohne militärische Ehren und ohne Großen Zapfenstreich aus dem Aktivdienst entlassen. Eine glänzende Offizierskarriere blieb ihm versagt, er war einfacher Funker, bis er endlich die Knobelbecher ausziehen durfte. Siebzehn Jahre Armeedienst bleiben nicht ohne Folgen. Die Haut des Wolfs zeigt Spuren, sein Fell glänzt nicht mehr, seine Augen schielen etwas. Doch er hat seine Haltung bewahrt, sein Rückgrat ist nicht gebrochen, seine Glieder zeigen noch etwas von der federnden Spannkraft seiner frühen Tage. Der Rost hat sein zerstörerisches Werk zwar angetreten, doch nicht vollendet. Die notorischen Stellen scheinen in gutem Zustand zu sein. Die nähere Untersuchung in den nächsten Monaten wird zeigen, was er noch drauf hat.
Seine Papiere erscheinen etwas mager: ein obskures Dokument der Militärkraftfahrstelle und eine Art Führungszeugnis vom Technischen Überwachungsverein, welches eigentlich nur besagt, daß der Wolf ein Wolf ist und keine Verbrechen begangen hat, sind alles, was ihm von einer langen Dienstzeit geblieben ist. Kein Rentenbescheid, kein Kraftfahrzeugbrief, kein schickes Certificate of Conformity, wie es neuerdings bei modernen Autos ausgestellt wird. Was wird wohl der Beamte in München dazu sagen? Morgen gehts zur Zulassungsstelle.
Der Wolf hat schließlich seine Nummerntaferln und zivile Papiere bekommen. 100 Euro, 1 Stunde hats gedauert, problemlos. Achtung: hinten muß ein 2-zeiliges Käferschild hin. Aber der Wolf steht noch in Nürnberg. Sein leicht inkontinentes Lenkgetriebe wird abgedichtet und er bekommt zwei neue Batterien.


Die Fahrt in die Reha-Kur

Im winterlichen Feierabendverkehr auf der A9. Es heult, dröhnt und rasselt vor, neben und unter mir. Überführungsfahrt mit dem Wolf nach München. Ich trage mit ca. 90 km/h aktiv zur Verkehrsberuhigung bei. Der Wolf benimmt sich ausgezeichnet. Die Lenkung ist jetzt sehr angenehm, alles funktioniert, es blinkt, wischt und hupt, daß es eine Lust ist. Die Batterien sind neu. Es ist gemütlich warm im Wolf. Breites Grinsen im Gesicht.


Und wenn sie nicht gestorben sind...

Das gute Gefühl ist geblieben. Jeder Tag, an dem ich den Wolf fahren kann, ist für mich ein guter Tag. Reparaturen und Wartung bewältige ich zumeist selbst und habe dabei tolle Erfolgserlebnisse. Dazu tragen auch die zahlreichen Forenteilnehmer bei, die mir schon viele Tipps gegeben haben.