Soeben habe habe ich einen interessanten Artikel gelesen, der vielleicht den einen oder anderen Saharafahrer interessieren könnte:
«Das Kamel ist unzweifelhaft das nützlichste aller Hausthiere in Afrika: aber es ist das unliebenswürdigste, dümmste, störrischste und ungemüthlichste Geschöpf, welches man sich denken kann. Wenn man einen Menschen, welcher die geistigen Eigenschaften eines Ochsen, Esels, Schafes und Maulthieres in sich vereinigt, mit Kamel bezeichnet, kann man kein besseres Sinnbild wählen.» Dass ausgerechnet der sonst so nüchterne Beobachter Alfred Brehm im Jahr 1883 in seinem Buch «Brehms Thierleben» das legendäre Nutztier derart schlecht bewertet, mag erstaunen. Der Grund: Auf den langjährigen Wanderungen durch Afrika ist der berühmte Zoologe wiederholt «vom Kamel abgeworfen, mit Füssen getreten, gebissen, in der Steppe verlassen und verhöhnt worden», wie er voller Verachtung schildert.
Für die afrikanischen Nomadenvölker jedoch ist ein Leben in der Wüste ohne Kamel undenkbar. Und der Mensch hat im Laufe der Jahrtausende das frühere Wildkamel durchaus zu einem vielseitigen und trotz eigenwilligem Charakter gut beherrschbaren Haustier geformt.
Die Familie der Kamele hat ihre Wurzeln in kamelartigen Vorfahren, die am Ende des Tertiärs vor 2 Millionen Jahren in Nordamerika lebten. Von hier aus breiteten sich die Kamele nach Südamerika aus, wo sich als neuweltliches Kamel die Gattung Lama entwickelte. Über die damals zwischen Alaska und Sibirien aus dem Meer ragende Beringlandbrücke wanderten Kamele auch nach Eurasien und Afrika, wo mit der Gattung Camelus die Grosskamele entstanden.
Aus diesen Wildkamelen züchtete der Mensch schliesslich verschiedene Haustierformen, mit deren Hilfe er sich unwirtliche Wüsten, Halbwüsten und Hochlandregionen erschloss. Kamele dienen als vielseitige Haustiere: sie sind Reit-, Zug- und Packtier und liefern zudem Fleisch, Milch, Wolle und Dung. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist bis zum heutigen Tag enorm.
Vom einhöckrigen Dromedar gibt es 19 Millionen Tiere. Mit seiner hellen Farbe und dem kurzen Fell ist das Dromedar gut an die heissen Wüsten Nordafrikas und Vorderasiens angepasst. Das zweihöckrige Trampeltier dagegen dient mit 1,5 Millionen Tieren als Haustier in den kalten Wüsten Zentralasiens, wofür eine dunklere und dichtere Behaarung sowie kürzere und kräftigere Beine nützlich sind. In der Neuen Welt existieren in den Hochanden von Peru und Bolivien als Haustiere die höckerlosen Kleinkamele Lama und Alpaka, wobei das Lama vor allem als Tragtier und das Alpaka als Wolllieferant genutzt wird.
Mit Helikoptern gejagt Während im Hochland und in den Savannen von Südamerika mit dem Guanako und dem Vikunja nach wie vor zwei Arten von Wildlamas leben, gibt es in der Alten Welt als Wildkamele lediglich noch in der Wüste Gobi rund 1000 Trampeltiere. Das Dromedar hat erst in neuerer Zeit wieder zu einer verwilderten Form gefunden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Europäern nach Australien gebracht, hatten die Kamele massgeblichen Anteil an der Erschliessung der australischen Wüsten und Savannen durch die weissen Siedler. Als schliesslich Fahrzeuge die vierbeinigen Helfer zu ersetzen begannen, entliess man die nutzlos gewordenen Kamele in die Freiheit. Mit verheerenden Folgen.
Unbehelligt von natürlichen Feinden, vermehrten sich die Dromedare rasend schnell. Heute leben im zentralen Australien um die 800 000 Kamele. Die Tiere fressen kahl, was immer sie an Vegetation finden, und übernutzen die spärlichen Wasservorkommen. Unlängst ist eine Kamelherde auf der Suche nach Wasser in eine Siedlung eingedrungen. Mit ihrem feinen Gespür für Wasser merkten die Tiere, dass es in den Klimageräten der Häuser Kondenswasser gibt, was zu zerstörerischem Tun führte. Um die Schäden an Zivilisation und Umwelt zu begrenzen, werden verwilderte Kamele jetzt vom Helikopter aus bejagt.
Die Leistungen der Dromedare und Trampeltiere im Wüstenklima sind legendär. Zwar sind Kamele keine Sprinter – die Höchstgeschwindigkeit dürfte bei 15 Kilometern pro Stunde liegen –, an Ausdau er aber kennen sie keine Konkurrenz. So legte im März 1932 eine französische Strafexpedition mit ihrem Kamelcorps in der Sahara bei der Verfolgung aufständischer Tuaregs innert 8 Tagen 770 Kilometer zurück. Und 1911 hatten die Franzosen Tuaregs sogar 7000 Kilometer weit gehetzt.
Eine Kamelkarawane ist in der Wüste ständig mit dem Problem konfrontiert, den Mangel an Flüssigkeit und Energie zu bewältigen und den Körper vor Überhitzung zu schützen. Hauptgefahr ist das Dehydrieren infolge Schwitzens und Wassermangels. Wie das Tier durch raffinierte körperliche Anpassungen Wasser spart, haben erst in den 1950er Jahren die Studien von Knut und Bodil Schmidt-Nielsen im Detail geklärt.
Das Rätsel der Höcker Lange hatte man geglaubt, das Kamel speichere Wasser im Magen oder in den Höckern. Beides ist eine Mär. Die Höcker tragen vielmehr den Energievorrat und können in gutem Ernährungszustand bis zu 40 Liter Fett speichern. Ein erfahrener Kameltreiber sieht an der Form des Höckers sofort, wie viel Treibstoff das Tier noch hat.
Während der wochenlangen Reise durch die Wüste findet das Kamel fast keine Nahrung – der pralle, aufrecht stehende Höcker verwandelt sich allmählich in einen schlaff hängenden Sack. Indem das Kamel den Fettvorrat auf dem Rücken trägt und nicht über den Körper verteilt wie andere Tiere, schützt der Höcker (wie bei uns die Kopfbehaarung) den Körper vor der stechenden Mittagssonne. Die nicht isolierten Körperseiten und der Bauch können die Wärme aus dem Körperinnern umso besser abstrahlen.
Um die Körpertemperatur konstant zu halten, produzieren Warmblüter laufend innere Wärme. An heissen Tagen muss überschüssige Wärme jedoch durch Schwitzen wieder abgegeben werden; in kalten Nächten wird für die Thermoregulation zusätzliches Fett verbrannt. Bei Lufttemperaturen bis zu 45 Grad am Tag und Werten um den Gefrierpunkt in der Nacht zehrt die Thermoregulation enorm am Wasser- und Fettvorrat.
Weniger so beim Kamel. Hat es bei guter Wasserversorgung eine Körpertemperatur zwischen 36 und 39 Grad, lässt es bei Wassermangel am Tag die Körperkerntemperatur bis auf 41 Grad ansteigen und strahlt die überschüssige Wärme erst in der kalten Nacht ab. Dann sackt die Körpertemperatur sogar bis auf 34 Grad ab, was durch den verminderten Ruheumsatz zusätzlich Energie spart. Und indem das Tier den Wüstenmorgen mit unterkühltem Körper in Angriff nimmt, kommt es erst spät ins Schwitzen. So spart das Kamel etwa 6 Liter Wasser pro Tag.
Das Kamel ist fürwahr ein Meister im Wassersparen. Verschnörkelte Strukturen mit grosser Oberfläche entziehen in den Nasengängen der austretenden Atemluft 70 Prozent der Feuchtigkeit und bringen das wertvolle Wasser in den Körper zurück. Wasser geht auch über den Urin verloren. Deshalb scheidet das Kamel im Laufe eines heissen Tages weniger als einen halben Liter Urin aus. Dieser ist doppelt so salzig wie Meerwasser.
Löst das Kamel Wasser, benetzt es mit dem Urin die Hinterbeine, was durch Verdunsten wenigstens etwas Kühlung verschafft. Wie der Urin ist auch der Kot wasserarm, weshalb sich frischer Kameldung als Brennmaterial verwenden lässt.
Trifft das Kamel nach wochenlanger Wanderung in der Oase ein, hat es durch Wasserverlust bis zu 40 Prozent seines Gewichts eingebüsst. Beim Menschen ist bereits ein Verlust von 12 Prozent Wasser tödlich, denn unser Körper ersetzt verdunstetes Wasser aus dem Wasservorrat im Blut. Dabei wird das Blut immer zähflüssiger, bis der Sauerstofftransport und das Abführen der Körperwärme nicht mehr funktionieren. Das Kamel dagegen holt sich das Wasser aus dem Körpergewebe. Bei einem Wasserverlust von 40 Litern stammt weniger als 1 Liter aus dem Blut, weshalb das Blut selbst bei extremer Dehydration dünnflüssig bleibt.
Von den Strapazen schwer gezeichnet wankt das Kamel schliesslich zur Wasserstelle und senkt das Maul ins rettende Nass. Und das Tier säuft und säuft wie kein anderes Lebewesen auf der Welt. Innert nur 10 Minuten sind 130 Liter Wasser im Bauch. Nach kurzer Ruhe werden weitere 70 Liter geschluckt. Wie durch ein Wunder steht das eben noch bis auf die Knochen abgemagerte Tier wieder frisch und rund auf den Beinen.
Mit einem letzten Trick begegnet das Kamel dem Trinkertod. Pumpt sich ein Mensch in kurzer Zeit mit enormen Wassermengen voll, verdünnt sich das Blut derart stark, dass die roten Blutkörperchen durch Osmose anschwellen und schliesslich platzen. Das Kamel aber besitzt ovale und äusserst elastische Blutzellen, die selbst bei dreifacher Wasserlast noch funktionieren.
Von Herbert Cerutti, Wissenschaftsjournalist
Quelle:
NZZ Folio 06/07
http://www.nzzfolio.ch/www/dda468bd-e5e5-4e25-8f60-e10905bd2537/showpages/Aktuelles%20Heft.aspxhttp://www.nzzfolio.ch/www/21b625ad-36bc...fc950c2764.aspx