Unterwegs in Namibia

Unterwegs in Namibia von Jochen von Arnim

H. Jochen von Arnim

„Keine Nacht ist so schwarz wie die in Afrika.“ Dieser Spruch von meinem Vater fiel mir mal wieder ein, als ich vor meinem Zimmer die letzte Zigarette des Tages rauchte und in die Dunkelheit blickte. Wie recht er doch hatte, denn ich konnte die Büsche auf 20 Meter nicht erkennen. Gleichzeitig wähnt man sich hier dem Firmament so nah wie sonst nirgendwo. Kein Restlicht von irgendwelchen Straßen- oder Fabrikbeleuchtungen stört die Lichtintensität der Sterne am Himmel. Erst später, wenn der Mond auftaucht, wird es dann wieder heller. Jetzt aber, um 21:00 Uhr, ist es noch stockfinster hier auf der Farm.

 

 

Wir (mein Vater und ich) waren zur Mittagszeit aus Windhoek hierher gekommen, um eigentlich nur Verwandte und Bekannte im Farmland östlich der Hauptstadt zu besuchen und gleichzeitig auch der alten Farm meines Großvaters die Referenz zu erweisen. Die Tour sollte uns aber in alle Ecken des Landes führen, wurden wir doch immer „weitergereicht“, mussten vielen Einladungen Folge leisten und taten dies auch gerne.

Hier auf der Farm Sonnleithen bekamen wir erst mal eine intensive Einweisung in ein neues Viehhaltesystem, das es meinem Vetter möglich machte, seinen Bestand innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Eindrucksvolle Photos belegen, wie sich der Bewuchs verändert hat. Zum Teil sind dichte Weidedecken entstanden, wo früher nur ein paar kümmerliche Grashalme versuchten, der Hitze und dem Wassermangel standzuhalten. Ein aufwendiges Umtriebsystem hatte eine erstaunliche Bodenmelioration zur Folge. Einziger Nachteil ist das kostenintensive Einzäunen der einzelnen Parzellen.

Bei einer Farmgröße von ca. 25.000 ha kann man sich leicht vorstellen, dass da viele Kilometer Weidezaun zusammen kommen. Vielen anderen Farmern ist das tägliche Umtreiben zu lästig und sie behalten lieber ihr altes Weidesystem bei, riskieren dabei in einem derart trockenen Klima eine Überweidung ihres Landes. Auf einer Menge Farmen sind Anzeichen dafür zu erkennen – kleine Canyonbildung (nach Platzregen) und teilweise Verwüstung sind die Folge einer fehlenden oder schadhaften Pflanzendecke.

Wir fuhren mit dem Hi-Lux über das hügelige Gelände, durch ausgetrocknete Riviere (Flüsse) und an großen Rinderherden vorbei, hatten für die bessere Übersicht einfach Campingstühle auf die Ladefläche gestellt. Später mussten wir noch die Werkstatt des über 80-jährigen Seniors bestaunen, der hier zwei alte Hanomag Pick-Ups seit vielen Jahren selber wartet, repariert und zu Multifunktionsvehikeln umgebaut hat. So geht er in einem der beiden (als Camper ausgerüstet) mit seiner auch über 80-jährigen Frau noch mindestens einmal im Jahr auf große Reise durch den Süden. Die Menschen hier scheinen viel älter zu werden als bei uns und bleiben bis in hohe Jahre noch sehr, sehr aktiv.

Auch ist dem Erfindungsreichtum keine Grenze gesetzt, muss man sich doch oft ohne Werkstätten oder fremde Hilfe durchschlagen. Aus alten Metallfässern werden zum Beispiel mit Maschendraht und Holzkohle Kühlschränke gebaut, die nach dem Prinzip der Verdunstungskälte funktionieren, um Zeiten ohne Elektrizität zu überbrücken. Kaum ein Fahrzeug ist im Originalzustand, hier wurde etwas abgeflext, dort etwas angeschweißt oder draufgebaut. ABE und Gutachten sind unbekannt.

Weiter geht es in Richtung Osten mit Station auf einer Farm, der man schon den Trend der neuen Zeit ansieht. Durch wirtschaftliche Einbußen zu Alternativen gezwungen, versucht man nun immer öfter den Farm- und Jagdtourismus als neues Standbein einzuführen. Für gute Deutschmark kann man sich hier einquartieren und entweder beim Farmbetrieb helfend zur Hand gehen oder sich als Luxusjagdgast zu den besten Trophäen verhelfen lassen. Inklusive der Abschussgebühren kommen da schon einige tausend Mark pro Woche zusammen. Wir bleiben jedoch nur bis zum Nachmittagstee und setzen unsere Fahrt zum nächsten Ziel fort.

Bis zu dem Ort Witvlei (Tankstelle, Laden, 3 Häuser) spüren wir noch den Teerbelag der B6 unter den Rädern, danach biegen wir in Richtung Süden auf die Pad 1793, ab hier nur noch Schotter- und Staubpisten – endlich. Was einem vorher schon recht einsam vorkam, wird hier nochmals verstärkt. Tagelang sehen wir bis auf unsere Gastgeber keinen anderen Menschen. Die Farmer sind in vielen Dingen auf das wirklich Wesentliche reduziert, können sich mit sich selber beschäftigen, nutzen ihre Zeit sinnvoll. Das Leben ist zweifelsohne hart hier am Rande der Kalahari, der Nossob-Fluss hat seit Jahren kein Wasser mehr geführt, die Brunnen müssen immer tiefer gebohrt werden. Eigentlich unvorstellbar, denn ich habe Bilder vor Augen, wie sich Bekannte zu Fuß durch die Brust hohen Fluten kämpfen, um an einer Party auf der Nachbarfarm teilzunehmen.

Wir spannen etwas aus, unternehmen lange Fahrten über verschiedene Farmen, begutachten eine Brunnenbohrung und genießen die unendliche Weite dieses Buschlandes. Der geschäftliche Nachfolger eines Onkels besitzt eine Wildfarm, auf der wir uns zu ausgedehnten Pirschfahrten einfinden. Ein umgebauter 109er SIII Pick-Up, dient dabei als Fahrzeug. Man steht auf der Ladefläche, ein wenig von einem schräg nach hinten verlaufendem Gestell – eine Art Überrollbügel – gestützt und hat vor sich eine gepolsterte Ablage für Fernglas und Gewehr. Ein schwarzer „game-tracker“ steht daneben und nimmt mit geübten Augen die kleinste Bewegung im Busch wahr, unterscheidet sicher die Tiersilouetten von denen der Büsche.

Irgendwann geht es dann weiter in den nördlicheren Teil des Landes; wir bestaunen mal wieder die in der Abendsonne goldgelb glänzende Abbruchkante des Waterbergs und verbringen die Nacht auf geschichtsträchtigem Boden in einer alter deutschen Schutztruppen-Station. Hier fand 1904 die größte Schlacht zwischen Deutschen Soldaten und Hereros statt – die Frage nach dem Sieger erübrigt sich. Auf einer Farm in der Nähe verbringen wir einen angenehmen und interessanten Nachmittag, können mit dem 109er Station Wagon kreuz und quer durch den Busch fahren und begegnen nur einigen Straußen und Eland-Antilopen. Wenige Kilometer weiter nach Osten ist dann ab dem Ort Okakarara Ende mit westlicher Zivilisation, denn hier beginnt das Hereroland. Außer den Angehörigen dieses Stammes darf sich hier niemand niederlassen. Wir tanken auch nur kurz auf und machen uns dann weiter auf den Weg zur Etosha-Pfanne, wobei wir uns bemühen, die kleinen Nebenpads zu benutzen. Irgendwie schaffen wir es dann auch, den Hoba Meteoriten nicht zu verpassen und machen hier Pause von der mehr als staubigen Fahrerei. Hoba ist der größte je gefundene Meteorit, der noch in einem Stück zu bewundern ist. Sein Gewicht beträgt ca. 55 Tonnen und er besteht zu über 90% aus Eisen; den Rest teilen sich Nickel (7%), Kobalt, Kupfer und Chrom.

Abends schlüpfen wir gerade noch durch das schon schließende Tor des Etosha-Parks und kommen in dem alten deutschen Fort Namutoni unter. Der nächste Tag steht ganz im Zeichen von Pirschfahrten durch diesen Park, der größtenteils von einer Salzpfanne eingenommen wird. Die weiße Ebene reflektiert die ohnehin schon brutale Sonne, sodass es eigentlich unerträglich wird und wir vollkommen ausgetrocknet in den Pool des Camps Okaukuejo springen. Hier sind wir dank der Hilfe einer Freundin bei der Naturschutzbehörde sogar in einem klimatisierten Bungalow einquartiert worden. Sie hatte unsere Ankunft über Funk angemeldet und dafür gesorgt, dass wir in den Genuss dieser Angestelltenwohnung kamen.

Übelste Pisten führen uns später weiter nach Südwesten zum versteinerten Wald und zu einem Tal, wo man hunderte von Buschmann-Malereien betrachten kann. Die Besonderheit hier ist, dass die Darstellungen eigentlich nicht gemalt, sondern in den Fels geritzt sind. Im Restcamp von Khorixas verbringen wir eine heiße und sehr ungemütliche Nacht, die von der Jagd auf 10 – 15 cm große Spinnen geprägt ist.

Weiter geht es auf Sand und Schotter zum Brandbergmassiv, das Heimat der „White Lady“ ist. Eine Felsmalerei, die eine weiße Frau darstellt und bei vielen Forschern eine Unzahl von Spekulationen hervorruft. Die Abbildung von weißen Menschen ist in der afrikanischen Frühgeschichte außer dieser einen Ausnahme nicht bekannt. Von hier aus fahren wir durch eine baumlose Ebene in Richtung Küste. Man möchte vermuten, dass es eigentlich irgendwann über Serpentinen bis auf Meeresniveau hinuntergeht, um den Höhenunterschied von mehr als 1000 Metern zu bewältigen, aber mit einem Male ist die Straße zu Ende und man fällt quasi in den Südatlantik. Die Neigung der Pad ist so gering und über sicherlich 100 Kilometer verteilt, dass man es nicht merkt, wie es langsam tiefer geht. Lediglich die höher werdende Luftfeuchtigkeit und die zunehmende Kühle verraten Meeresnähe.

Die Küstenstraße (aus Salz – und somit bei Regen wie Glatteis) führt uns erst ein Stück nach Norden auf die Skelettküste zu. Dutzende von Schiffswracks zeigen zum Teil nur noch ihre Spanten, sind total verrostet und auseinandergefallen – daher der Name. Manche von Ihnen liegen weit im Landesinneren, da die Küste ständig in Bewegung ist; Teile verlanden und andere werden von den Brechern fortgerissen. Eines haben sie aber gemeinsam: sie sind absolut lebensfeindlich, ohne Wasser und vernünftige Orientierung ist man sicherlich schnell verloren. Hier spürt man besonders, warum Südwestafrika/Namibia auch „Das Land das Gott im Zorn erschaffen hat“ genannt wird. Trotzdem verstehen es z. B. die Damara auch in den Weiten dieser Dünenlandschaft zu überleben und zu jagen. Mit etwas Glück kann man Oryx-Antilopen oder sogar die scheuen Wüstenelefanten beobachten.

Wir wählen Swakopmund als Basis für Touren in die Namib-Wüste, fahren durch die faszinierende Mondlandschaft, die der Swakop in tausenden von Jahren geschaffen hat. Es ist immer wieder eindrucksvoll zu sehen, was Wassermassen zu leisten vermögen – und beinahe unglaubhaft wenn man durch das ausgetrocknete Flußbett fährt. Der 109er bringt uns zwar ächzend aber ohne Pannen durch die Dünen. Es gibt bestimmte „Wege“, die man fahren sollte, denn das Ökosystem Wüste ist sehr anfällig und wie nachhaltig Räder die Oberfläche schädigen können kann man hier leider noch nach nahezu hundert Jahren betrachten. Die Spuren der Ochsenkarren aus der Anfangszeit der Kolonisation führen immer noch stetig nach Osten. Der Flechtenbewuchs braucht etliche Jahre, um überhaupt entstehen zu können und wenn er einmal zerstört ist, findet der stetige Wind Angriffsfläche für Erosion. Trotzdem gibt es auch hier genügend Möglichkeiten sich auszutoben. An den sichelförmigen Wanderdünen wird kräftig mit Snowboards gefahren und auch die leichten und PS starken Trial- und Beachfahrzeuge kommen häufig zum Einsatz.

Etwas weiter die Küste entlang beginnt eines der Angelparadise des südlichen Afrika. Hier stehen etliche kleine Häuschen, die immer nur in den Ferien bewohnt werden. Dann kommen über hunderte und tausende Kilometer Entfernung die Pick-Ups angerollt, die großen Angeln vorne an der Stoßstange befestigt und fahren bis auf den Strand. Die Männer stehen dann wochenlang in der Brandung und versuchen, dem nährstoffreichen Benguela-Strom die unterschiedlichsten Fische zu entreißen, während die restlichen Familienmitglieder die Zeit totschlagen.

Für uns steht eine Fahrt durch den östlichen Teil der Namib auf teilweise gut ausgebauten Schotterpisten an; wir fahren über Solitaire und Maltahöhe ins Namaland. Hier werden wir auf einer Farm so derartig von einem der berüchtigten Unwetter überrascht, daß an eine Weiterfahrt nicht zu denken ist. So stehen wir am Rand einer Abfahrt in das Tal des Fish-Flusses und müssen zusehen, wie die Fluten immer höher kommen und uns den Weg versperren. Da wir telefonisch angemeldet waren und eine grobe Ankunftszeit mitgeteilt hatten vermisste man uns schließlich doch und wir konnten beobachten, wie der Farmer nach dem Ende des Regens mit seinem Flugzeug Kreise auf der Suche nach uns zog. Wir wurden dann auch bald entdeckt, unser Standort per Funk zur Basis weitergegeben und man holte uns über Umwege auf einer passierbaren Furt ab. Wir sollten einige Tage später noch einmal einen derartigen Platzregen erleben, als wir in der Nähe von Keetmanshoop zum Köcherbaum-Wald fuhren. Die tiefen schwarzen Wolken zogen uns langsam entgegen und mit den ersten Tropfen lief uns auch auf der Piste eine ca. 20 cm hohe Wasser-„Walze“ entgegen. Solch Oberflächenwasser ist typisch für Starkregenereignisse in diesen Gebieten, der trockene Boden vermag die Wassermassen garnicht aufzunehmen.

Bevor wir uns via Fishriver-Canyon, der zweitgrößte nach dem Grand Canyon in Arizona, wieder auf den Weg nach Kapstadt machten, stand aber noch einmal ein Besuch in Lüderitz auf dem Programm. Nach dem Kaufmann Adolf Lüderitz benannt, hat der Ort an der Küste mittlerweile einen sehr verschlafenen Charakter, der Hafen versandet langsam und die Zeiten der großen Diamantfunde vor den Toren der Stadt sind auch vorbei. Es gibt noch Photos, auf denen man Diamantsucher abgelichtet hat, die auf allen Vieren über den Wüstenboden kriechen und die Edelsteine einfach so aufsammeln. Heutzutage muss man im südlich gelegenen Sperrgebiet schon viele Tonnen Material bewegen, um ein Karat Diamanten zu finden. Man geht sogar dazu über, den vorgelagerten Meeresboden mit Tauchern und Schleppnetzen abzusuchen. Die Geisterstadt Kolmanskoppe zeugt noch von den Spuren eines blühenden Ortes zu Beginn der Kolonialzeit, sogar die alte Holzkegelbahn ist noch erhalten. Der größte Teil des Ortes steht allerdings halb unter Sand begraben und was nicht zugeweht ist wurde in vielen Jahren vom Sandstrahlgebläse des ewigen Windes total perforiert. Auf unserem Rückweg nach Osten können wir den nicht alltäglichen Anblick einer kleinen Herde Wildpferde genießen, die unsere Pad kreuzen und vorsichtig aber nicht ängstlich auch mal kurz anhalten. Obwohl sie nach europäischem Standard nicht gerade gut im Futter stehen, scheint es ihnen nicht schlecht zu gehen, denn sie haben immerhin drei Fohlen in ihrer Mitte.

Mit unserem Grenzübertritt bei Noordoewer bewegen wir uns dann weg von dem Land, das als „Hart wie Kameldornholz“ besungen wird, weg von einem ganz besonderen Teil Afrikas, der jeden unwiderruflich in seinen Bann zieht.

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